Foto: Ruth Setzler

Wir gedenken unseres langjährigen Vorsitzenden, des Historikers Dr. Hans-Otto Binder (15.5.1940-29.5.2017). Nach vier ½ Jahren als Vorsitzender (11/2010-2/2015) und einem erneuten halben Jahr als kommissarischer Vorsitzender bis Ende April 2017 blickte er bei der Jahreshauptversammlung im April 2017 zurück auf die Anfänge des Vereins:

„Für mich hat diese Geschichte [des Vereins] begonnen mit der Publikation Die Heimkehrertafel als Stolperstein. Vom Umgang mit der NS-Vergangenheit in Tübingen, die 2007 in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt erschienen ist. Darin waren Vorträge zur Heimkehrertafel und zu der Ausstellung Tübinger Szenenwechsel 1950-1970 zusammengefasst. Zum einen wurde dabei die Beteiligung Tübinger an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik deutlich, auch wenn wir damals nur einen kleinen Zipfel zu fassen bekamen. Zum andern wurde klar, dass die Kontinuitäten aus der NS-Zeit in die Bundesrepublik auch in Tübingen deutlich vorhanden waren.“

Diese Kontinuität aus der NS-Zeit war dann auch Thema einer Vortragsreihe Vom braunen Hemd zur weißen Weste?, festgehalten in einer Publikation, erschienen 2011 als Nr. 38 der Reihe Kleine Tübinger Schriften des Fachbereichs Kultur der Universitätsstadt Tübingen. Hans-Otto Binder erinnerte sich: „Im Zuge dieser Arbeiten und in der Diskussion mit thematisch Interessierten auch aus dem Gemeinderat entstand die Idee, sich in Tübingen für die Errichtung eines Lern- und Dokumentationszentrums zum Nationalsozialismus einzusetzen […]“. Bei beiden Projekten, Vortragsreihe wie Publikation, waren Hans-Otto Binder und Dr. Martin Ulmer federführend gewesen, ebenso bei der Redaktion des Sammelbandes. Die Kompetenz von Hans-Otto Binder gründete in seiner Arbeit als Historiker am Seminar für Neuere Geschichte der Tübinger Universität, wo er drei Jahrzehnte lang bis 2002 gelehrt und geforscht hatte.

Die Gründung des Vereins für ein Lern- und Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus in Tübingen erfolgte am 16. November 2010.

Ansporn für Hans-Otto Binders Engagement für ein Lern- und Dokumentationszentrum, das vor allem jungen Leuten dienen soll, war seine Erkenntnis, dass

  • wir ständig neue Forschungsergebnisse über die NS-Zeit bekommen.
  • neue Generationen eigene Fragen an diese Zeit stellen und eigene Antworten finden wollen und dass die Vergangenheit nichts ein für allemal Festgelegtes sei.
  • die Zeit von 1933-1945 so außerordentlich war, dass das Interesse an ihr niemals erlöschen werde.

Hans-Otto Binder arbeitete unermüdlich dafür, dass diese Zeit auch für Tübingen endlich nachvollziehbar gemacht würde. Bisher gibt es in Tübingen hierzu keinen Ort. In der Dauerausstellung des Stadtmuseums ist dem Thema ‚Nationalsozialismus‘ nur ein kleiner halber Raum gewidmet. Das Museum der Universität Tübingen hat Wechselausstellungen zum Thema auf Schloss Hohentübingen gezeigt.

Mit dem Band Vom braunen Hemd zur weißen Weste? hat Hans-Otto Binder zusammen mit anderen AutorInnen Akteure benannt, die aus Tübingen stammten oder hier studiert haben und maßgeblich an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt waren. Mitglieder unseres Vereins, der Geschichtswerkstatt Tübingen e.V. und assoziierte AutorInnen setzen diese Recherche fort und werden 2018 ausführliche Biografien von 30 NS-Akteuren sowie 50 Kurzbiografien publizieren. Eine wissenschaftliche Arbeit zur Rolle des früheren Oberbürgermeisters Hans Gmelin in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit hatte Hans-Otto Binder lange angemahnt und schließlich vermitteln können: 2012 haben der Tübinger Gemeinderat und die Philipps-Universität Marburg ein Forschungsstipendium vergeben. Die Veröffentlichung wird 2018 erwartet.

Das Thema Zwangsarbeit wird bisher in Südwürttemberg nicht didaktisch präsentiert. Dieses Thema weiter zu erforschen, ist Hans-Otto Binder besonders wichtig gewesen, war die Zwangsarbeit doch von großer Bedeutung für die Kriegsführung und die Steigerung der Kriegsproduktionen. Die Erfahrung der Zwangsarbeit ist bis heute mitbestimmend für die Erinnerungen unserer europäischen Nachbarn – und auch für unsere eigenen. Das Gräberfeld X auf dem Stadtfriedhof Tübingens weist exemplarisch auf die europäische Dimension der Zwangsarbeit hin und ist zum großen Teil mit Opfern von Zwangsarbeit belegt. In Tübingen wurden u.a. sowjetische Kriegsgefangene im ehemaligen Güterbahnhof zur Zwangsarbeit eingesetzt. Deshalb bot sich dieser Ort für das geplante Lernzentrum an, auch wegen der möglichen Kooperation mit dem Tübinger Stadtarchiv, dem künftigen Hauptmieter des ehemaligen Güterbahnhofs.

Seit Gründung des Vereins hatte Hans-Otto Binder die Jahresprogramme mit eigenen Vorträgen, Führungen und Exkursionen mitgestaltet, so z.B. 2016, als er und Martin Ulmer in Kooperation mit der Eberhards-Kirchengemeinde die Kennen Sie Tübingen?-Führung ‚Auf den Spuren von Lilli Zapf‘ angeboten hatten.

Die Kooperation mit der Universitätsstadt Tübingen, die den Verein bis heute maßgeblich unterstützt, zieht sich wie ein roter Faden durch den Weg zur Vereinsgründung und den folgenden Werdegang, so Hans-Otto Binder bei der Jahreshauptversammlung 2017. Für eine Zusammenarbeit mit weiteren Partnern und Unterstützern wie der VHS Tübingen, der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, der Geschichtswerkstatt Tübingen e.V. oder den Tübinger Kirchengemeinden, um nur einige zu nennen, hat er sich erfolgreich eingesetzt.
Die Gespräche mit der Universitätsstadt Tübingen, an denen Hans-Otto Binder regelmäßig teilnahm, führten immer zwei oder drei Vorstände, um so ein gemeinschaftlich erarbeitetes Ergebnis zu erreichen.
Der Verein schuf unter Mitwirkung Hans-Otto Binders einen Investitionsfonds zur Mitfinanzierung der medialen Ausstattung des geplanten Lern- und Dokumentationszentrums.

Das Engagement unseres ehemaligen Vorsitzenden Dr. Hans-Otto Binder für ein Lern- und Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus in Tübingen bleibt für uns Vorbild und Ansporn.

Der Vorstand, Tübingen, November 2017